Montag, 16.12.2019 18:04 Uhr spiegel.de
Diese NS-Verbrecher leiteten das LKA

Schießbefehle, Massenerschießungen, Judenverfolgung: NS-Verbrecher leiteten jahrzehntelang das Landeskriminalamt in NRW. Wer waren diese Männer, wie pflegten sie ihre braunen Kontakte weiter? Der Überblick.

Die Befunde der Historiker sind erschreckend: Die ersten vier Chefs des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen waren neuen Forschungen zufolge während der NS-Diktatur an Gräueltaten beteiligt. Der Polizeihistoriker Martin Hölzl hatte für die Studie in Archiven mehrerer europäischer Länder geforscht.

Anlass der Studie war der 70. Geburtstag des Landeskriminalamts vor drei Jahren. Im Vorfeld der Feierlichkeiten waren Zweifel aufgekommen, ob es klug wäre, alle Behördenchefs bei dieser Gelegenheit zu ehren. Hölzl erhielt daraufhin den Auftrag, sich auf die Spurensuche zu begeben.

Er wurde in erheblichem Ausmaß fündig:

  • Friedrich Karst, erster Behördenchef von 1946 bis 1948, habe noch wenige Tage vor Kriegsende, am 13. April 1945, an einer Massenerschießung in Langenfeld teilgenommen. 71 Gefangene wurden dabei in einer Schlucht südlich von Düsseldorf ermordet. Karst habe selbst eingeräumt, Gefangene in die Nähe des bereits ausgehobenen Massengrabs geführt und dieses später zugeschaufelt zu haben. Kurz nachdem er dies zugegeben hatte, wurde er 1948 als LKA-Chef abgesetzt.
  • Friederich D'Heil, Behördenchef von 1948 bis 1958, zeichnete die "Sonderanweisung" ab, Juden, die aus dem Getto Litzmannstadt im deutsch besetzten Lodz fliehen wollten, zu erschießen. 160.000 Menschen wurden dort systematisch ausgehungert, viele starben vor Ort oder wurden deportiert. 1937 sei er NSDAP-Mitglied geworden und habe sich später um Aufnahme in die SS bemüht. D'Heil sei auch an der Ermordung des dänischen Widerstandskämpfers und Pastors Kaj Munk 1944 beteiligt gewesen, so ein dänisches Gericht. Er habe dem Mörder Tatwaffe und Papiere beschafft. Später habe er als LKA-Chef mindestens drei NS-Tätern zurück in den Polizeidienst verholfen.
  • Oskar Wensky, Behördenchef von 1959 bis 1964, galt im nordrhein-westfälischen Innenministerium als unbelastet, obwohl er in internationalen Fahndungslisten als Kriegsverbrecher gesucht und in den Niederlanden deswegen interniert worden war. Das NSDAP- und SS-Mitglied habe die Verlegung der Sinti und Roma in den Niederlanden an Sammelplätzen angeordnet, von denen sie später in das KZ Auschwitz deportiert wurden. Unter Wenskys Verantwortung fanden in den Niederlanden Razzien gegen Homosexuelle statt. Als Sachverständiger habe er sich später in der Bundesrepublik gegen die Abschaffung des Paragrafen 175 ausgesprochen, der Homosexualität unter Strafe stellte. An der Universität Köln sei er 1971 Honorarprofessor geworden. Erst acht Jahre nach seinem Tod seien Ermittlungen gegen ihn eingeleitet worden.
  • Günter Grasner, Behördenchef von 1964 bis 1969, sei im besetzten Belgien bei der Geheimen Feldpolizei gewesen und vom belgischen Staat - wegen Zugehörigkeit zu dieser berüchtigten Einheit - zeitweise wegen Mordes als Kriegsverbrecher gesucht worden. 1947 seien die Akten in seinem Fall aber geschlossen worden, weil sich damals nichts Belastendes gegen ihn fand. 1942 war Grasner in die Sowjetunion abgeordnet worden. Die Geheime Feldpolizei sei dort an der Erschießung von 21.000 Menschen als angebliche Partisanen beteiligt gewesen. Der Anteil seiner Einheit an der Mordbilanz könne nicht mehr genau bestimmt werden. Einzelne Meldungen zeigten aber, dass Mitglieder seiner Einheit am 12. November 1942 von sieben aufgegriffenen Personen sechs sofort erschossen hatten.

Die Polizisten hätten von der Legende profitiert, dass die Kriminalpolizei im "Dritten Reich" im Gegensatz zur Gestapo vergleichsweise sauber geblieben sei, sagte Historiker Hölzl. Dabei habe sie ihr "bei der Beteiligung an Verbrechen in nichts nachgestanden". Wensky habe sich später sogar als Widerstandskämpfer stilisiert.

Hölzl hatte für die Studie in Archiven mehrerer europäischer Länder geforscht. "Das Gutachten zeigt ein sehr bedrückendes Ergebnis", sagte nun der amtierende LKA-Chef Frank Hoever. "Von den sechs ehemaligen LKA-Direktoren müssen die ersten vier Direktoren als Täter des NS-Unrechtregimes in der Zeit bis Mai 1945 bezeichnet werden. Das hat mich sehr erschüttert!"

"Das Ergebnis ist umso erschreckender, als die Genannten in ihrem Amt teilweise eine Seilschaft aus der NS-Zeit pflegten", sagte Landesinnenminister Herbert Reul (CDU). "Aus heutiger Sicht hätten sie niemals mehr als Polizisten arbeiten dürfen."

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