17.10.2019 news.ok.de
Ex-Wachmann des KZ Stutthof will in Hamburger Prozess alle Fragen beantworten

Hamburg (AFP) - In einem weiteren NS-Prozess muss sich seit Donnerstag vor dem Hamburger Landgericht ein früherer KZ-Wachmann wegen Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen verantworten. Der 93-Jährige soll laut Staatsanwaltschaft 1944 und 1945 im Konzentrationslager Stutthof die "heimtückische und grausame Tötung" insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt haben. Am ersten Verhandlungstag wurde lediglich die Anklageschrift verlesen - gegen den 93-Jährigen kann nur zwei Stunden pro Prozesstag verhandelt werden.

Grund für diese kurze tägliche Verhandlungsdauer ist der Gesundheitszustand des Angeklagten Bruno D., der zu Prozessbeginn in einem Rollstuhl in den Verhandlungssaal gefahren wurde und sein Gesicht hinter einer roten Mappe verbarg. Sein Verteidiger Stefan Waterkamp kündigte an, sein Mandant sei bereit, in dem Verfahren alle Fragen zu beantworten.

Laut Anklage soll es zu den Aufgaben des zur Tatzeit 17- und 18-jährigen SS-Wachmanns im KZ Stutthof bei Danzig gehört haben, die Flucht, Revolte und Befreiung von Häftlingen zu verhindern. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm deshalb vor, als "Rädchen der Mordmaschinerie" in Kenntnis aller Gesamtumstände dazu beigetragen zu haben, dass der für die Lagerinsassen ausgegebene Tötungsbefehl umgesetzt werden konnte.

Aufgrund seines jugendlichen Alters im Tatzeitraum ist der Ex-Wachmann vor einer Jugendstrafkammer des Landgerichts Hamburg angeklagt. Für den Prozess sind zehn weitere Verhandlungstage bis zum 17. Dezember anberaumt.

Im KZ Stutthof bei Danzig hatten die Nazis unter anderem polnische Bürger, sowjetische Kriegsgefangene und Juden eingesperrt, gequält und auf unterschiedliche Arten systematisch getötet. Unter anderem gab es dort eine Gaskammer. Von mehr als hunderttausend Menschen, die nach Stutthof gebracht wurden, starben schätzungsweise 65.000.

Das auf die Verfolgung von NS-Verbrechern spezialisierte Simon-Wiesenthal-Center hob die Bedeutung des Hamburger Verfahrens hervor und verwies in diesem Zusammenhang auch auf den rechtsextremistisch und antisemitisch motivierten Anschlag von Halle. Der Chefermittler des Wiesenthal-Centers, Efraim Zuroff, nannte es am Rande der Hamburger Hauptverhandlung "wichtig, dass diese Gerichtsverhandlung auch Jahre später stattfindet".

"Erinnern Sie sich daran, was vergangene Woche in Halle geschehen ist", sagte Zuroff mit Blick auf den Versuch eines bewaffneten Rechtsextremisten, in die Synagoge der Stadt einzudringen. Der Angeklagte in dem Hamburger Prozess sei zwar kein großer Nazi-Führer gewesen, sondern vielmehr ein untergeordneter Wachmann, betonte Zuroff. "Aber wir schulden diese Gerichtsverhandlung den Opfern, ihren Kindern und Enkelkindern."

Der geschäftsführende Vizepräsident des Auschwitz-Komitees, Christoph Heubner, betonte, dass nur ein Bruchteil der NS-Täter jemals vor einem deutschen Gericht gestanden habe, "bleibt für die Überlebenden ein fortwährender Skandal in der deutschen Justizgeschichte und ist Ausdruck dafür, wie erfolgreich SS-Täter in die Gesellschaft zurückgekehrt sind, aus der sie nach Stutthof, Auschwitz oder Dachau aufgebrochen waren".

In den vergangenen Jahren gab es in Deutschland mehrere Prozesse wegen NS-Verbrechen gegen Ex-Angehörige von Konzentrations- und Vernichtungslagern wie Auschwitz-Birkenau und Stutthof. In einigen Fällen wurden Verfahren wegen des Alters der Beschuldigten eingestellt, weil sie nicht verhandlungsfähig waren. Erst im April stellte das Landgericht Münster den Prozess gegen einen weiteren Wachmann des KZ Stutthof wegen dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit des 95-Jährigen ein.

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